BGH, Urteil v. 05.07.2012 – III ZR 116/11

Urteil veröffentlicht in: NJW-Spezial 2012, Heft 18, 559, 560; FD-DStR 2012, 335324; BeckRS 2012, 15861; WM 2012, Heft 31, 1482; NZG 2012, 916 oder direkt zum Original Urteil in der Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofes.

Haftung einer GmbH für die fehlerhafte Anlageberatung durch eine namensgleiche Einzelfirma unter den Gesichtspunkten der Firmenfortführung und der Rechtsscheinhaftung.

In seinem Urteil bestätigt der Bundesgerichtshof unsere schon in den Vorinstanzen vertretene Auffassung, dass eine Firmenfortführung auch bei zeitweilig paralleler Existenz von Alt- und Neuunternehmen vorliegen kann und eine Rechtsscheinshaftung auch dann gegeben sein kann, wenn die Voraussetzungen für eine Firmenfortführung nicht vorliegen.

Der Fall:

Im Ausgangsfall geht es in dem Rechtsstreit zwischen unserer Mandantin (der Klägerin) und der Beklagten um Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung.

Der Klägerin wurde von einem Mitarbeiter einer Vertriebseinzelfirma eine atypisch stille Gesellschaftsbeteiligung an einer Aktiengesellschaft angetragen. Zeitlich danach wurde die Beklagte als GmbH gegründet. Der verwandte Firmenname war mit Ausnahme der Angabe der Rechtsform identisch mit dem Firmennamen der Einzelfirma.

In der Folgezeit hat die Beklagte die gesamte Geschäftstätigkeit und die Mitarbeiter der Vertriebseinzelfirma übernommen.

In erster Instanz wurde der Klägerin mit Urteil des LG Erfurt vom 13.10.2009, 9 O 79/09, der Anspruch zuerkannt. In der zweiten Instanz wurde mit Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts vom 03.05.2011, 5 U 907/09, der Berufung der Beklagten stattgegeben und das Urteil des LG Erfurt aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die BGH-Anwälte Prof. Dr. Vorwerk & Dr. Schulz konnten auf ihre Beschwerde hin erreichen, dass die Revision beim Bundesgerichtshof zugelassen wurde.

Im anschließenden Revisionsverfahren hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 05.07.2012, III ZR 116/11 das Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts vom 03.05.2011 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs und der Nutzen für die Geschädigten:

Der Bundesgerichtshof stellt zwei klassische Haftungsgrundlagen des Zivil- und Handelsrechts in „neuem Gewand“ dar, nämlich die Firmenfortführung gem. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB und die sog. „Rechtsscheinshaftung“, indem er in seinem Urteil unter Ziffer 16 ausführt:

„(…) Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer Haftung des Firmenübernehmers nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB sowie einer möglichen Rechtsscheinhaftung der Beklagten verkannt und eine unzureichende tatrichterliche Würdigung vorgenommen.“

Neben der klassischen Variante einer Firmenfortführung nach § 25 HGB, wonach trotz eines Wechsels des Unternehmensträgers die Haftung im Falle der Übernahme der alten Firmenbezeichnung oder einer unveränderten Fortführung des „wesentlichen Kerns“ des Unternehmens besteht, gilt dies nun auch lt. Bundesgerichtshof bei einer „sukzessiv erfolgten Unternehmensübernahme“, wenn „(…) es also zeitweilig zu einer parallelen Existenz von Alt- und Neuunternehmen kommt, sofern sich für den Rechtsverkehr die Betätigung des übernehmenden Unternehmers als Weiterführung des ursprünglichen Unternehmens in seinem wesentlichen Bestand darstellt (BGH, Urteil vom 24. September 2008 aaO S. 820 Rn. 15 f).“ (BGH im vorliegenden Urteil unter Rdnr. 18).

Falls eine Haftung aus den vorgenannten Grundsätzen der Firmenfortführung nicht in Betracht kommt, kann eine solche aus Rechtsscheingesichtspunkten eingreifen, womit der Bundesgerichtshof unserer Auffassung folgt:

„Sollte nach tatrichterlicher Gesamtwürdigung aller Umstände eine Haftung der Beklagten nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB gleichwohl zu verneinen sein, so wäre, worauf die Revision zu Recht aufmerksam macht, eine (von § 25Abs. 1 S. 1 HGB unabhängige, allgemeine) Rechtsscheinhaftung der Beklagten in Erwägung zu ziehen.“

Wenn ein Unternehmen im Geschäftsverkehr den Eindruck erweckt, ein fast namensgleiches Unternehmen fortzuführen, so verstößt es gegen Treu und Glauben, wenn es vor Gericht einwendet für einen Schadensersatzanspruch gegen das andere Unternehmen nicht der richtige Anspruchsgegner zu sein. Folgerichtig führt der Bundesgerichtshof hierzu aus:

„Tritt ein Unternehmen aufgrund der nach außen angezeigten Rechtsnachfolge als Schuldner einer Forderung auf, ist ihm folglich der Einwand fehlender Passivlegitimation verwehrt (s. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – IX ZR 199/10, NZI 2011, 107 Rn. 7 mwN).“

Dazu Rechtsanwalt Dr. Bernd Zimmermann:

„Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes hat das Gesellschaftsrecht bereichert und ist wegweisend.

Der Fall löst bis dato bestehende Unsicherheiten in Rechtsprechung und Lehrmeinung zu der Frage, ob eine Firmenfortführung nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB auch dann angenommen werden kann, wenn die übernommene Firma weiterhin im Rechtsverkehr existent ist.

Zum anderen stellt der Bundesgerichtshof klar, dass sich die Rechtsfolgen einer Firmenfortführung nicht nur aus § 25 HGB ergeben können, sondern darüber hinaus zu prüfen ist, ob der übernehmende Rechtsträger durch sein Auftreten im geschäftlichen Verkehr den Rechtsschein gesetzt hat, mit der anderen Firma übereinzustimmen oder ihre Rechtsnachfolgerin zu sein.“